Bewertung zentraler und dezentraler Abwasserinfrastruktursysteme

  • Evaluation of centralised and decentralised infrastructure systems for sewage disposal

Herbst, Heinrich Bernhard; Dohmann, Max (Thesis advisor)

Aachen : Publikationsserver der RWTH Aachen University (2008)
Doktorarbeit

Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 2008

Kurzfassung

Seit ca. 160 Jahren werden in Mitteleuropa Schwemmkanalisationen zur Ableitung der Niederschlagswässer, der häuslichen sowie der gewerblich-industriellen Abwässer errichtet. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Abwässer zunehmend in zentralen Kläranlagen behandelt. Heute sind in Deutschland ca. 96% der Bevölkerung an zentrale und der verbleibende Anteil an dezentrale Abwasserentsorgungsanlagen angeschlossen. Die abwassertechnischen Anlagen müssen unterhalten und an veränderte Randbedingungen wie z.B. rechtliche, demografische und klimatische Entwicklungen angepasst werden. Abwasser kann als Wertstoff betrachtet werden, der Kohlenstoff als Energieträger sowie Phosphor, Stickstoff und Kalium als Nährstoffe beinhaltet. Aufbereitetes Abwasser kann als Substitut für Wassernutzungen dienen, die keine Trinkwasserqualität erfordern. Eine weiterreichende Nutzung des Abwassers und seiner Wertstoffe wird bei neuartigen Sanitärkonzepten umgesetzt. Dabei erfolgt eine weitgehende Trennung der häuslichen Abwasserteilströme Toilettenabwasser (Schwarzwasser), Faeces (Braunwasser), Urin (Gelbwasser) und häusliches Restschmutzwasser (Grauwasser) am Anfallort. Dies erfordert neben einer aufwändigen Sanitärtechnik auch eine auf die spezifische Abwasserteilstrombelastung ausgerichtete Verfahrenstechnik zur Nährstoffstoffrückgewinnung und Brauchwasseraufbereitung. Kriterien, die bei der Erstellung oder Veränderung eines Abwasserentsorgungssystems von Bedeutung sind, sind die Leistungsfähigkeit, die Wirtschaftlichkeit sowie der Gewässer- und Ressourcenschutz. Die Erfüllung dieser Kriterien und eine Vielzahl an einsetzbaren Verfahren erfordert für die Entscheidungsfindung zu Gunsten eines zentralen oder dezentralen Infrastruktursystems eine objektive Bewertung. Die Bewertung von Infrastruktursystemen erfolgt heute im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Systems unter Berücksichtigung von ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Aspekten. Die bisherigen Bewertungsmodelle weisen folgende Defizite auf: • hoher zeitlicher und personeller Aufwand; daher nur für wissenschaftliche Zwecke geeignet, • mangelnde Übertragbarkeit aufgrund einer meist anwendungsfall- bzw. projektbezogenen Bewertung, • keine Berücksichtigung der gewerblich-industriellen Abwässer bei der Bewertung neuartiger Systeme, • subjektive Bewertung durch Einsatz ordinaler Bewertungsverfahren, • zumeist keine Berücksichtigung vorhandener Infrastrukturelemente, • zumeist keine Berücksichtigung gesellschaftlicher Kriterien, wie Akzeptanz oder zukunftsorientierter Aspekte (demografische und klimatische Entwicklung). Das Fehlen eines praxisorientierten Bewertungsmodells, mit dem wissenschaftlich fundiert und einfach handhabbar Abwasserinfrastruktursysteme beurteilt werden können, war das Motiv zu dieser Arbeit. Für das neue mehrdimensionale Bewertungsmodell wurden praxisrelevante ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Kriterien entwickelt. Die wesentlichen Merkmale des neuen Bewertungsmodells sind: • funktionale Beschreibbarkeit und kardinale Bewertbarkeit der Kriterien durch Berechnung einer Bewertungszahl, • Kriterien werden durch die Berechnung einer Bewertungszahl objektiviert, • Anpassung der Kriterien sowie deren funktionale Zusammenhänge an die zu berücksichtigenden fallbezogenen Rahmenbedingungen, • hohe Variabilität der Bewertungskriterien ermöglicht breite Anwendung • Berücksichtigung von abstrahierten Siedlungsstrukturen, • Einbeziehung der Entsorgung gewerblich-industrieller Abwässer, • Bewertung vorhandener Infrastrukturelemente/-systeme unter Berücksichtigung ihrer Systemauslastung, • Bewertung vorhandener Infrastrukturelemente/-systeme bei einer möglichen Systemumstellung, • Berücksichtigung zukünftiger demographischer und klimatischer Entwicklungen. • Modellerweiterung um Elemente der Wasserversorgung und Regionalplanung, wie z.B. Energieversorgung, Telekommunikation und sozialen Einrichtungen sind möglich. Die Handhabbarkeit und die Aussagefähigkeit des Bewertungsmodells wurden beispielhaft für ein Gemeindegebiet nachgewiesen. Als Ergebnis der Anwendung ist festzuhalten: • Die Bewertung sollte nur von Personen mit siedlungswasserwirtschaftlichem Fachwissen durchgeführt werden. • Eine Veränderung der Gewichtung der Kriterien sollte nur mit Erfahrung bei der Bewertung von Abwasserinfrastruktursystemen erfolgen. Das Endergebnis muss durch eine Sensitivitätsanalyse der Gewichtungsfaktoren verifiziert werden. • Der Arbeitsaufwand ist angemessen. Das vorgestellte Modell ermöglicht Ingenieuren und Wissenschaftlern der Siedlungswasserwirtschaft und Regionalplanung, vor dem Hintergrund der örtlichen Rahmenbedingungen entwickelte unterschiedliche Abwasserinfrastruktursysteme unter Aspekten der Nachhaltigkeit vergleichend zu bewerten. Dabei ist die Anwendung nicht nur auf Mitteleuropa beschränkt, da über die hohe Variabilität der Kriterien die Möglichkeit zur Anpassung an ländertypische Rahmenbedingungen besteht.

Einrichtungen

  • Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Wassergütewirtschaft und Institut für Siedlungswasserwirtschaft [314110]

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